Das Mehrgenerationenhaus

Die Einsamkeit findet keine offene Tür

Im Sommer 2015 sind wir, meine Frau Birgit und ich, nach Schweden gefahren. Birgit hatte uns in Fröseke für eine Woche ein Ferienhaus gemietet. Wir hatten fantastisches Sommerwetter. Jeden Tag unternahmen wir ausgiebige Fahrradtouren durch die schwedischen Wälder und Seen. Durchsetzt mit riesigen Granitblöcken wirken die Wälder dort sehr urig. Wir hatten das Gefühl, als wenn sie eine geheime Kraft ausstrahlen.

Ich weiß noch genau, dass es der vierte Urlaubstag war, die Sonne zeigte sich von der besten Seite. Nach unserer Fahrradtour gingen wir an einem kleinen See spazieren und es war Zeit für eine kleine Pause. Unsere Pausenverpflegung bestand aus sehr viel Obst und Gemüse. Noch immer durchströmt mich ein Glücksgefühl, wenn ich an die große Ration Melonenstücke zurückdenke. Wir hatten es uns an einem kleinen Bach gemütlich gemacht, als mich meine Frau mit großen Augen ansah und fragte: „Wie willst Du mit mir alt werden?“ Auf meine spontane Art antwortete ich: „Den Urlaub muss ich mit dir erst überleben, dann denke ich über das Älterwerden nach.“ Meine Frau war mit dieser Antwort nicht zufrieden und das Thema wurde nicht mehr angeschnitten.

Doch ich merkte, wie sich diese Frage in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Die Urlaubtage vergingen viel zu schnell. Wir waren wieder in Deutschland und der Alltag kehrte zurück. Nur diese Frage wurde ich nicht mehr los. Bevor ich meiner Birgit nun endlich eine Antwort geben konnte, fing ich an, mir über mein Älterwerden Gedanken zu machen und Fragen an mich zu stellen: Wo willst du alt werden? Will ich mit Birgit alleine alt werden? Wie entwickelt es sich beruflich?

An einem Sonntag nach dem Frühstück sagte Birgit: „Mein lieber Mann, wir müssen uns ernsthaft unterhalten.“ Ich bekam Schweißperlen auf meiner Stirn. Hatte ich irgendetwas angestellt, das unsere Beziehung gefährden könnte.
Nein, denn Birgit kam mit einem Lächeln und leuchtenden Augen an den Tisch. Ihr fester Blick verdammte mich zur Sprachlosigkeit, als sie sagte: „Wir bauen dein Elternhaus in ein Mehrgenerationenhaus um.“ Mir fiel gleich der große Meister im Himmel ein: „O Gott!“

Ich nahm mir an einem Wochenende Zeit, das Grundstück und das Haus unter dem Gesichtspunkt anzuschauen: Das musst du alles umbauen. Nachdem ich den Rundgang gemacht hatte, gab’s erstmal einen doppelten Kräuterlikör!

Beim Abendbrot fragte mich Birgit ob wir es schaffen, das Grundstück und Wohnhaus so umzubauen, dass wir mit mehreren Generationen zusammenleben können? Ich fand die Idee einfach genial und antwortete: „Es ist alles kein Problem, das kriegen wir hin.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Idee wie das Projekt umzusetzen sei.

Als erstes haben wir meine Eltern von unseren Plänen unterrichtet. Die haben ungläubig geschaut, unter dem Motto „das schafft ihr nie.“ Ihr braucht mindestens 15 Jahre, um alles umzusetzen. Für mich war das ein Anreiz, diese Aufgaben anzupacken. Mein Gedanke war, ich schaffe das alles alleine und das war mein Fehler. Meine Strategie war folgende: Konzentriere dich erst mal auf eine Sache. Der erste Plan, Grundstück beräumen. Meine Eltern hatten einst auf dem Grundstück einen Hühnerauslauf. Hühner gab es keine mehr, nun sollte es zum Garten umgestaltet werden.

Meine beiden Studenten Sascha und Thomas, hatte ich an einem Wochenende verpflichtet, mir zu helfen. Ich habe einen Bagger bestellt und es ging los. Wir haben Bäume gefällt, Büsche gerodet, Zäune entfernt, Wurzeln rausgerissen und das ganze Biomaterial geschreddert. Zwei Tage Manpower! Da wurde uns erstmal bewusst, wie groß das Grundstück doch ist. Geradezu erschrocken waren wir wegen der Größe des neuen Gartens. Das können wir unmöglich alleine bewirtschaften.

Da hatte meine Frau wieder eine geniale Idee. Das Zauberwort hieß Gartengemeinschaft. Sie fragte in ihrer Tanztruppe nach und prompt hatte Ines, eine ihrer Freundinnen, Interesse. Wir fingen an, den Garten zu planen und zu gestalten. An der Grundstücksgrenze haben wir eine Hecke gepflanzt. Ein Gewächshaus war der Wunsch meiner Birgit. Wir haben uns von der Firma www.beckmann-kg.de eins ausgesucht und montiert. Natürlich habe ich ein solides Fundament mit Innendämmung hergestellt. Als das Traumgewächshaus dann endlich aufgestellt war, habe ich mit meinen beiden Studenten die Wege im Garten hergestellt. Es wurden ca. 100 Meter Wege gebaut. Jetzt konnte meine Mutter mit ihrem Rollator den Garten erkunden, denn den Garten hat sie über alles geliebt.

Anette, eine Freundin von Birgit hatte auch Interesse an einem Gartenstück bekundet und sagte: „Wenn ich bei euch noch eine kleine Wohnung bekomme, kann ich hier alt werden“. Zu guter Letzt wollte noch meine Schwiegermutter mitgärtnern. Birgit hat die Wünsche aufgenommenen und die einzelnen Parzellen zugewiesen. Die große Gartengemeinschaft war geboren – es war unser großer Traum – doch sie überdauerte nur fünf Jahre. Doch dazu später.
Es machte Spaß die Mädels beim Gärtnern zu beobachten, sie hatten Freude an der Arbeit und tauschten untereinander Tipps aus. Damit war meine bauliche Tätigkeit im Garten erstmal beendet.

Am 25.11.2015 ist mein Vater im Alter von 88 Jahren friedlich eingeschlafen. Ich wollte noch so vieles mit ihm besprechen, habe aber die Zeit verpasst. Das Leben musste weitergehen, meine Mutter war auch noch da und brauchte meine Unterstützung.

Fortsetzung folgt…